Zur Skulptur von Christian Hasucha
Florian Matzner

 

Eine merkwürdige Szenerie:
Direkt vor dem Hauptbahnhof in Paderborn steht ein Apfelbaum, auf den ersten Blick deplatziert, wirkt er doch wie eingezwängt in die stählerne Silhouette, die einen größeren, ausgewachsenen Baum nachzeichnet. Diese Umrisslinie, so der Berliner Konzeptkünstler Christian Hasucha, "hat die Form des Apfelbaumes im Garten meiner Eltern. 50 Jahre später ist in Paderborn eine entsprechende Umrissschablone installiert. Ein kleines Apfelbäumchen wird hier in seine eigene Spätform hineinwachsen können." – Hasucha, der seine Interventionen und Skulpturen im öffentlichen Raum selbst als "Implantate" in der Stadt bezeichnet, hat mit dem Pflanzen dieses unscheinbaren Apfelbaumes einen ebenso persönlich-emotionalen wie politisch-sozialen Akt vollzogen: Eine Nutzpflanze im Stadtraum, fast provokativ zwischen Bahnhof und Ausfallstraße "implantiert", geschützt durch die stählerne Silhouette, sozusagen gerahmt wie ein teures Kunstwerk, erhält eine Prominenz, die den Baum zu einem Wahrzeichen für den Vorplatz werden lässt.

 

Christian Hasucha hat seit Ende der 1970er Jahre den öffentlichen Stadtraum als Handlungsort für seine oft subtil-leisen, manchmal aber auch provokativ-lautstarken Eingriffe in urbane Strukturen entdeckt, die er selbst als "öffentliche Interventionen" bezeichnet und sorgfältig mit einer Chronologie versieht: "später sein wird" ist beispielsweise das "Projekt Nr. 63", ein, so der Künstler weiter – künstlerisches "Implantat" im Stadtgefüge, das wie sein medizinischer Namensgeber zwar in seinem direkten und konkreten Umfeld wirksam sein soll, aber ohne das Miteinander von Kunstwerk und Kontext nie seine Funktion und sein Ziel erreichen kann.

 

Zurück zum Bahnhofsplatz in Paderborn: Die Passanten und Pendler, die im Stadtraum gemeinhin Zierpflanzen in entsprechenden Deko-Kübeln gewohnt sind, begegnen jetzt tagtäglich dem Apfelbaum, erleben mit ihm die verschiedenen Jahreszeiten vom ersten Treiben der Knospen im Frühling, dann die anschließende Blüte bis hin zur Ernte der reifen, essbaren Äpfel. So wird der Baum zu einer Art Zeitmaschine oder, wie es Christian Hasucha bezeichnet hat, zu einer "Art von Natur-Uhrwerk, die die vergangene und die verbleibende Zeitfrist plastisch vor Augen führt." Und weiter; "Ein langer Zeitraum wird begleitet, während die Konstellation stets aktuell bleibt."

 

So entsteht im Laufe der Zeit ein fast intimes Verhältnis zwischen den Fußgängern und "ihrem" Apfelbaum, ein Identität stiftendes Zeichen im anonymen Gehetze des Stadtraumes, auf dem Vorplatz des Bahnhofs, eines Ortes also, der in keiner deutschen Stadt als deren freundliche Sonnenseite bezeichnet werden kann: "später sein wird" ist eine kraftvolle Metapher für Dialog und Kommunikation der Stadtgesellschaft!

 

Vgl. Projektdokumentation Nr. 63 später sein wird